Warum radelt hier kaum jemand? Diese Frage stellt sich auf so manchen Fernradwegen in Deutschland – ob gen Meer, in die Berge oder auf den ruhigen Routen dazwischen. Der Corona-Sommer ist genau der richtige Zeitpunkt, diese verborgenen Schönheiten zu erkunden.

Wümme-Radweg: Schleife durch Niedersachsen

Da geht’s lang: Wenn Radler eins lieben, dann am Wasser entlangrollen. Wenn die Wege obendrein so gepflegt sind wie in Niedersachsen und ruhig wie an der Wümme, setzt jeden Tag aufs Neue Urlaubsfeeling ein. Das 118-Kilometer-Flüsschen versteckt sich zwischen der Weser und der Lüneburger Heide. Der Radweg an seiner Seite ist als Runde angelegt. 

An der maritimen Meile des Bremer Stadtteils Vegesack stimmt das „Schulschiff Deutschland“ auf die Reise ein. Lenker nach Osten drehen, zehn Kilometer der Lesum folgen, und schon ist ihr Hauptarm, die Wümme, erreicht. Sie mäandert mit drei Wasserläufen durch die Borgfelder Wümmewiesen. Hier grasen Pferde, dort Rinderherden, in der Ferne sind Vögel wie Großtrappen, Bekassine und Wachtelkönig zu sehen. 

Auf der anderen Seite ducken sich reetgedeckte Bauernhäuser an den grünen Deich. Dörfer nähern sich und ziehen vorbei. Die Routenschilder lotsen ins Hinterland und wieder zurück zum Fluss. Nach einem Stopp in Rotenburg sucht man den Horizont ab, in der Hoffnung, die Anhöhen der Lüneburger Heide zu erspähen. 

Bereits 1922 stellte man die Natur hier unter Schutz. Radler wie Wanderer steuern den 169 Meter aus dem Tiefland ragenden Wilseder Berg an. Zur Heideblüte im Sommer ist er violett – dann kann es hier schon einmal voll werden. Gut, dass sich ringsum viele ruhige Wege befinden. Einer davon ist der Südkurs des Wümme-Radwegs.

Unbedingt besuchen: Ein Melkhus. Am Radweg liegen mehrere der einladenden, grün angestrichenen Milchraststättenhäuschen. Die Milchprodukte und selbst gebackenen Kuchen schmecken 2020 besonders gut im Freien.

Start und Ziel: Rundtour ab dem Bahnhof Bremen-Vegesack. 

Länge: 260 Kilometer; rund fünf Tage

Infos: www.wuemme-radweg.de

Deutscher Limes-Radweg

Da geht’s lang: Ab dem 1. Jahrhundert nach Christus errichteten römische Legionäre hierzulande eine Grenzbefestigung – den Obergermanisch-Raetischen Limes. Er verband den Rhein mit der Donau – die Radwege an beiden Flüssen sind längst Klassiker.

Und dazwischen? Wald, Wiesen, Felder, Kleinstädte – und der Limes-Radweg, der der längsten Unesco-Welterbestätte Deutschlands folgt. Während im Film „Zurück in die Zukunft“ der DeLorean DMC-12 als Zeitmaschine dient, ist es auf dem Limes-Radweg ein E-Bike. Ein normales Reiserad tut es auch, aber mit Trittunterstützung durch die Mittelgebirge zu sausen, macht richtig Spaß.

Die gesparte Energie kann man für die vielen Museen unterwegs einsetzen. Westerwald, Taunus, Spessart, Odenwald, Schwäbische Alb, Fränkische Alb – alles stille Landstriche, genauso wie sie Radler lieben. Wer im Wald genau hinsieht, erkennt hier und da selbst nach zwei Jahrtausenden den Verlauf des Limes. Die knapp 1000 Kilometer am besten in zwei Touren fahren – Rom wurde ja schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.

Unbedingt besuchen: Tief hinab in den Brunnen der Geschichte taucht man in den rekonstruierten Anlagen der Römer. Mal steht im Wald ein einsamer Wehrturm, mal haben Forscher den Grundriss eines Kastells freigelegt. 

Start und Ziel: Bahnhöfe in Bad Hönningen und Passau

Länge: 970 Kilometer; rund 20 Tage 

Infos: www.limesstrasse.de

Mulderadweg: Doppelte Idylle

Da geht’s lang: Wer weiß schon, dass es sich entspannt nach Amerika radeln lässt? Einfach dem Fluss Mulde folgen. Mulde – nie gehört? Auf der Deutschlandkarte schlängeln sich im Südosten zwei feine Linien aus den Bergen des Erzgebirges herab.

Aber wo starten? Im Westen des Erzgebirges und der Zwickauer Mulde folgen, dann via Talsperre Eibenstock, Aue, Zwickau und Glauchau talwärts strampeln. Oder die Reise 100 Kilometer östlich an der Quelle der Freiberger Mulde beginnen und Freiberg, Nossen und Döbeln ansteuern.

Beide Radwege ziehen sich malerisch durch das Weihnachtsland mit seinen Nussknackern und Bergmannsfiguren. Seen, tief eingeschnittene Täler und Bahntrassenwege sorgen für Abwechslung. Bei Sermuth schwappen die Zwickauer und die Freiberger Mulde ineinander. Als Mulde zieht der Zusammenfluss dann breit durch die sanft hügelige Landschaft, passiert Burgen und legt seine Arme um Altstädte. Ab Wurzen sind die meisten Höhenmeter aufgebraucht. Das Land ist ab dort eben in alle Richtungen.

Am Ende wird die Mulde von der Elbe geschluckt. Unter den deutschen Radrouten ist der Elbe-Radweg der Gewinner, keinem folgen Radler öfter. Den Namen seines Nachbarflusses kennen die wenigsten. Im Jahr 2020 macht ihn sein Geheimtippstatus zum Star. Und nach der Reise können Sie auch von Amerika erzählen. Das Dorf liegt im Landkreis Mittelsachsen – am Ufer der Zwickauer Mulde.

Unbedingt besuchen: Länger Zeit einplanen für die Stadt Freiberg. Hier schlägt das Herz der Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří – seit 2019 Teil des Unesco-Welterbes. Die Ausstellung terra mineralia im Schloss Freudenstein ist mit rund 3500 Exponaten eine der größten Mineralienausstellungen der Welt.

Start und Ziel: Bahnhöfe Schöneck (Zwickauer Mulde), Rechenberg-Bienenmühle (Freiberger Mulde) und Dessau-Roßlau

Länge: Ab der Zwickauer Mulde: 294 Kilometer; ab der Freiberger Mulde: 241 Kilometer; rund fünf Tage

Infos: www.mulderadweg.de

Oder-Neiße-Radweg: Stille Grenzfahrt im Osten 

Da geht’s lang: Der Oder-Neiße-Radweg ist ideal für Fernwehgeplagte. Radlern, die am Ende der Reise auf der Insel Usedom an einem der Strände ihr Handtuch ausbreiten, fällt es schwer, den Höhepunkt zu bestimmen.

Konnten sie sich doch unterwegs wie ein Hollywoodstar fühlen, in der Altstadtkulisse von Görlitz, das die Einheimischen wegen der hier gedrehten Filme liebevoll Görliwood nennen. Viele Fotos wurden schon vom feuerroten Schloss Muskau mit seinem zum Unesco-Welterbe zählenden Park geknipst, einst stilvoller Wohnsitz des weit gereisten Fürsten Pückler.

Tage später dann Safarifeeling im Nationalpark Unteres Odertal, der mit seinen Überflutungswiesen ein wenig wie das Okawangodelta in Botswana aussieht. Am meisten eingeprägt hat sich aber das Dahingleiten auf den guten Asphaltwegen und die Stille am äußersten Rand Deutschlands.

Unbedingt besuchen: An Neiße und Oder kommt Entdeckerfeeling auf, vermittelt die Landschaft doch ein Gefühl der osteuropäischen Weite. Da Polen seine Radrouten immer mehr ausbaut, kann man einige Male von Ufer zu Ufer springen. Linderung für das nächste Fernweh verschafft die neue Blue Velo (Odrzańska Trasa Rowerowa). Sie führt entlang des Flusses Oder durch Schlesien.

Start und Ziel: Bahnhöfe in Jablonec nad Nisou (Tschechien) und Ahlbeck auf Usedom

Länge: 630 Kilometer; rund zehn Tage

Infos: www.oder-neisse-radweg.de

Burgenstraßen-Radweg: Pedalritter ziehen durch die Lande

Da geht’s lang: Deutschlands Burgen sind in den vergangenen Wochen Corona-bedingt in einen Dornröschenschlaf gefallen. Radler können eine nach der anderen wachküssen. Rund 70 Burgen und Schlösser weisen den Weg durch die Lande.

Vom Neckar über die Flüsschen Kocher, Jagst, Tauber, Altmühl und Regnitz zum Main. Ein wenig fühlt man sich unterwegs wie ein Ritter, der von Hof zu Hof zieht. Denn in einigen kann man übernachten. Und dazwischen lassen sich die sehenswerten Altstädte von Heidelberg, Schwäbisch Hall, Rothenburg ob der Tauber, Nürnberg, Bamberg, Coburg und Bayreuth erkunden.

Unbedingt besuchen: Am meisten Eindruck schinden die Schlossruine Heidelberg, die Kaiserburg in Nürnberg und die Veste Coburg.

Start und Ziel: Bahnhöfe in Mannheim und Bayreuth

Länge: 950 Kilometer; rund 16 Tage

Infos: www.burgenstrasse.de

Ammer-Amper-Radweg: Alpenpanorama

Da geht’s lang: Einem Fluss radelt man normalerweise von der Quelle zur Mündung nach. Also bergab. Beim Ammer-Amper-Radweg gibt es einen guten Grund, in die Gegenrichtung zu fahren. Bergauf und gen Süden.

Los geht es in Moosburg an der Isar. Das weite Tal der Amper bildet die Kulisse für den ersten Abschnitt. Es rollt sich leicht durch Wiesen und Auwälder. Dachau, Fürstenfeldbruck, dann der Ammersee. Die Route hangelt sich an seinem Westufer entlang.

Der Fluss ändert seinen Namen und nimmt einen als Ammer mit in die Alpen. Radler klettern die Berge im Blick in die Höhe. Der Ammer-Amper-Radweg hat sich den schönsten Abschnitt bis zum Schluss aufgespart.

Unbedingt besuchen: Vom Reiseziel Oberammergau weiter zum Schloss Linderhof bergan strampeln. Es ist das einzige, das der Märchenkönig Ludwig II. in seiner Vollendung bewohnte. Der verspielte Prachtbau versteckt sich im Graswangtal in den Ammergauer Alpen. Die Berge sind bis heute wild und geheimnisvoll.

Start und Ziel: Bahnhöfe in Moosburg an der Isar und Oberammergau

Länge: 202 Kilometer; rund vier Tage

Infos: www.ammer-amper-radweg.com